EU-Wettbewerbspakt: Geleaktes Dokument belegt Freibrief für Sozialabbau
Die Allianz „Europa geht anders“ (*) fordert Bundeskanzler Werner Faymann auf, sich klar gegen den geplanten „EU-Wettbewerbspakt“ zu stellen. Der Pakt sieht vor, dass sich alle Staaten der Eurozone durch Verträge mit der EU-Kommission zu „Strukturreformen” verpflichten, um ihre „Wettbewerbsfähigkeit” zu verbessern. Ein vor dem Rat geleaktes EU-Dokument nennt erstmals explizit, was darunter zu verstehen ist: Einschnitte im Arbeitsmarkt, bei öffentlichen Dienstleistungen, beim Pensionssystem und in der Ausbildung. Damit wird jene Krisenpolitik ausgeweitet und verschärft, die in den letzten Jahren in den südeuropäischen Laboratorien gescheitert ist. Steigende Armut und Massenarbeitslosigkeit werden die soziale und politische Spaltung Europas weiter vertiefen.
Da diese Politik auf demokratischem Weg nicht durchsetzbar wäre, ist – wie schon beim Fiskalpakt – eine Flucht aus den Europäischen Verträgen angedacht. Die nationalen Parlamente werden in wirtschaftspolitischen Fragen weitgehend entmündigt. „Statt parlamentarischen Beschlüssen vor Abschluss der bilateralen Verträge mit der EU-Kommission sind lediglich Beratungen vorgesehen“, kritisiert Fiona Kaiser von der Sozialistischen Jugend Oberösterreich.
Frontalangriff auf soziale Rechte und die Einkommen der Menschen
Kaiser warnt vor einer Verpflichtung zu Lohnzurückhaltung, Lohnverhandlungen auf betrieblicher Ebene, ausgehebelten Kollektivverträgen sowie dem Ende der automatischen Anpassung von Mindestlöhnen durch den Pakt. Die Folgen wären ein Wegbrechen der Mittelschicht, ein wachsender Niedriglohnsektor und eine schrumpfende Binnennachfrage. „Dieser Frontalangriff auf soziale und gewerkschaftliche Rechte sowie die Masseneinkommen muss unbedingt abgewehrt werden. Niedrige Löhne schaffen keinen Wohlstand.“
Mit dem Wettbewerbspakt fängt die Eurokrise erst an
„Die europäischen Regeln wurden von Deutschland gebrochen“, erklärt Kaiser. Deutschland hat die Löhne jahrelang weit weniger erhöht als die nationale Produktivität plus das europäisch vereinbarte Inflationsziel von zwei Prozent. Das hat den deutschen Binnenmarkt eingefroren und enorme Exportüberschüsse geschaffen. Senken nun auch andere Länder – wie Italien und Frankreich – die Löhne, wird auch dort die Arbeitslosigkeit wie in Südeuropa stark steigen. „Mit dem Wettbewerbspakt fängt die Eurokrise erst an.“ Auch das Ziel die „Globale Wettbewerbsfähigkeit“ zu erhöhen werde nicht aufgehen.
Auch die Absicht, nationale Sozialsysteme zu reformieren, um im internationalen Wettbewerb zu bestehen ist fatal. „Gerade Staaten mit gut ausgebautem Sozialsystem (skandinavische Länder und Österreich) sind besser durch die Krise gekommen als andere Länder. Ihr Sozialstaat war das wichtigste Instrument zur wirtschaftlichen und sozialen Stabilisierung. Daher gelte es jetzt den Sozialstaat zu stärken“, fährt Kaiser fort.
Der Wettbewerbspakt deckt sich mit den dokumentierten Wunschlisten europäischer Konzernlobbys, vertreten etwa die Business Europe oder dem European Round Table of Industrialists. Diese lobbyieren seit 2011 mit dem Drohszenario sinkender Absatz- und Profitmöglichkeiten am Weltmarkt für den Wettbewerbsakt. „Doch das Rückgrat der europäischen Wirtschaft sind kleine und mittelständische Unternehmen. Auch sie zählen zu den Verlierern einer zusammenbrechenden Binnennachfrage“, mahnt die Landesvorsitzende der SJ.
Wirtschaftspolitische Koordinierung, aber richtig!
Eine koordinierte europäische Fiskal-, Wirtschafts- und Sozialpolitik sei dringend nötig, doch Europa braucht dabei eine radikale Kehrtwende. Es gilt jene Strukturen zu reformieren, die Europa in die Krise geführt haben: Lohndumping, unregulierte Finanzmärkte und die enorme Vermögenskonzentration. „Wir müssen Solidarität vertiefen und nicht die Konkurrenzordnung“, erklärt die Jungpolitikerin weiter.
Die Plattform „Europa geht anders“ fordert daher:
- Einen europäischen Steuerpakt mit höheren Gewinn- und Vermögenssteuern, einer umfassenden Finanztransaktionssteuer und Maßnahmen, die Steuerflucht und –hinterziehung massiv verringern. Ein Teil der Einnahmen ist für ein Investitionsprogramm zum Ausbau der Infrastruktur und zum ökologischen Umbau zu verwenden
- Verpflichtende Zielvorgaben zur Verringerung der Erwerbsarbeitslosigkeit in EU-Staaten
- Lohnsteigerungspakt vor allem in jenen Ländern, die hohe Expertüberschüsse und große Niedriglohnsektoren haben. Damit würde auch die Nachfrage innerhalb Europas steigen
- Pakt zur Stärkung von ArbeitnehmerInnenrechten, ArbeitnehmerInnenschutzbestimmungen und Gewerkschaftsrechten
- Die Wiederregulierung und Schrumpfung der Finanzmärkte
- Und eine umfassende Demokratisierung der europäischen (Wirtschafts-)Politik
(*)„Europa geht anders“ ist eine breite europäische Allianz von renommierten Ökonomen, prominenten Politkern sowie Vertretern der Zivilgesellschaft. Ihren Aufruf haben bereits rund 10.000 Menschen unterzeichnet. http://www.europa-geht-anders.eu/.