Sozial- und arbeitsmarktpolitische Lücken mit konkreten Vorschlägen füllen: „Wir sehen hier einmal mehr, dass es die Sozialdemokratie dringend braucht“
„Das türkis-grüne Regierungsprogramm liegt nun auf dem Tisch. Vor allem sozial- und arbeitsmarktpolitisch lässt es vieles offen. Es gilt, langfristige Visionen zu entwickeln. Diese Aufgabe hat die Sozialdemokratie in der Vergangenheit übernommen und sie wird es auch für die Zukunft tun“, kommentiert SPOÖ-Vorsitzende Birgit Gerstorfer das Regierungsübereinkommen. „Wir sehen hier einmal mehr, dass es die Sozialdemokratie dringend braucht.“
Armutsbekämpfung und Arbeitsmarkt
Die groß angekündigte Bekämpfung der Kinderarmut findet sich im Regierungsprogramm nicht wieder. Rund 372.000 Kinder und Jugendliche sind in Österreich armutsgefährdet, insgesamt sind es rund 1,2 Millionen Menschen. Wie die türkisgrüne Regierung diese Zahl konkret verringern möchte, bleibt unbeantwortet. „Besonders armutsgefährdete Gruppen wie Geringverdiener_innen und Sozialhilfebezieher_innen profitieren von der Senkung des Eingangssteuersatzes auf 20 Prozent ebensowenig wie von der Anhebung des sogenannten „Familienbonus“. Von beidem sind die Betroffenen ausgenommen. Das ist höchst problematisch“, so Gerstorfer.
Die Gemengelage von niedrigem Einkommen der Eltern, prekären Beschäftigungsverhältnissen und fehlenden Kinderbetreuungsplätzen – was in weiterer Folge zu Einschränkungen der Erwerbsmöglichkeit vor allem von Frauen und fehlenden Pensionszeiten führt – ist eine soziale Sicherheitsgefährdung. Betroffene drohen von der Armutsgefährdung in latente Armut abzurutschen. Deswegen braucht es ein Paket zur Bekämpfung von Armut, das diesen Namen auch wirklich verdient:
- Einführung einer Kindergrundsicherung. Sie soll sich an den monatlichen Ausgaben für die Bedürfnisse von Kindern orientieren. Gleichzeitig braucht es einen Ausbau sozialer und kostenfreier Infrastruktur: Gesundheitsversorgung, Kinderbetreuungseinrichtungen, Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln, Lernmittel etc.
- Vollständige Aufnahme der Kinderrechtskonvention in die österreichische Verfassung.
- Flächendeckende Einführung der gemeinsamen und ganztägigen Schule der 10- bis 14-Jährigen. Eltern, die ihren Kindern nicht die Förderung (z.B. Nachhilfe) geben können, die sie brauchen, werden so entlastet und in weiterer Folge wird Chancengleichheit unterstützt. Kinder suchen sich nicht aus, in welche Familie sie geboren werden.
- Ein Mindestlohn von 1750 Euro ohne Wenn und Aber! Das Phänomen der „Armut trotz Arbeit“ (Working Poor) muss aktiv bekämpft werden. Auch deswegen ist es unumgänglich, dass der Zuständigkeitsbereich „Arbeit“ wieder ins Sozialministerium rückgeführt wird. Nur wenn arbeitsmarktpolitische und sozialpolitische Maßnahmen ineinandergreifen und optimaler Wissens- und Informationsaustausch gewährleistet ist, kann Armut nachhaltig bekämpft werden.
- Weg vom Almosendenken hin zur sozialen Absicherung für alle: Die Sozialhilfe NEU bleibt Stückwerk und Zuständigkeit der Länder. Nach dem recht eindeutigen VfGH-Erkenntnis braucht es dringender denn je eine Reform der Mindestsicherung.
- Ausdehnung des Familienbonus auf alle Kinder: Jedes Kind ist gleich viel wert und hat die gleiche Unterstützung verdient.
- Reaktivierung und Ausweitung der Aktion 20.000 hin zur Jobgarantie: Besonders ältere Arbeitnehmer_innen werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Für sie ist es besonders schwierig, eine neue Beschäftigung zu finden. Die Aktion 20.000 ist eine gute Lösung, um dem Problem von Langzeitarbeitslosigkeit bei der Zielgruppen 50+ entgegenzutreten. Dem Marktversagen wird hier eine Maßnahme entgegengestellt, die mit überschaubarer Mittelaufwendung sinnvolle und gemeinnützige Beschäftigungsmöglichkeiten schafft. Ist jemand ein Jahr oder länger auf Arbeitssuche, soll er_sie garantiert einen Arbeitsplatz bekommen. Und es gibt genug zu tun: In den Schulen, Gemeinden und Bezirksämtern gibt es großen Bedarf an Unterstützungspersonal.
Die Industriepolitik von morgen
Ein stabiler industrieller Sektor verringert die Abhängigkeit eines Landes nach außen. Und damit auch die Anfälligkeit für Krisen, wie die Wirtschaftskrise 2008/09 gezeigt hat. Industrie ermöglicht zudem Wertschöpfung für sozialpolitische Maßnahmen.
Viele Arbeitnehmer_innen haben zurecht Sorge, dass durch Veränderungen im Industriesektor ihre Arbeitsplätze bedroht werden. Eine CO2-Steuer gefährdet dann den österreichischen Industriestandort, wenn sie nicht von einem konkreten Konzept für eine zukunftsorientierte Industriepolitik begleitet wird.
Birgit Gerstorfer: „Damit Industriepolitik einen Beitrag zur sozial-ökologischen Transformation leisten kann, muss sie mehr erreichen, als lediglich den Kapitalismus durch „grünes Wachstum“ wieder in Schwung zu bringen.“ Hier kommt das Stichwort „Transformation“ ins Spiel. Das geht nicht von allein, sondern muss aktiv gefördert werden:
- Deswegen: Eine Industrie-Milliarde zur Förderung der CO2-Reduktionen. Denn nur, wenn „braune“ Industrien wie die Automobilindustrie im Zentrum einer industriellen Umwandlung stehen, schaffen wir auch die Ökologisierung.
- Dabei darf jedoch nicht auf die Arbeiter_innen vergessen werden. Parallel zur Transformation der Produktion braucht es auch die Sicherheit für die Arbeitnehmer_innen, dass ihre Jobs dabei nicht auf der Strecke bleiben. Öffentliche Ausschreibungen sollten dafür soziale und ökologische Kriterien mit ökonomischen gleichwertig behandeln.
- Industriepolitik darf sich jedoch nicht allein darauf beschränken, die Beschäftigung im industriellen Sektor zu sichern. Deswegen muss eine progressive Industriepolitik gegen Auslagerungen und Leiharbeit in Industriebetrieben gerichtet sein, aber auch das starke Lohngefälle zwischen der Industrie und anderen Wirtschaftssektoren kritisch reflektieren.
- Eine starke industrielle Basis sichert die Wertschöpfung und damit die Grundlage für sozialpolitische Umverteilung und ein umfangreiches soziales Netz.
Überschriften mit Konzepten füllen
„Das Regierungsprogramm besteht in Sozial- und Arbeitsmarktpolitik vornehmlich aus Überschriften ohne konkrete Maßnahmen und Visionen, wie zunehmende Ungleichheit und die ungleiche Verteilung von Vermögen angegangen werden könne. Maßnahmen wie eine Vermögenssteuer zur Gegenfinanzierung kommen mit keinem Wort vor. Das ist nicht hinnehmbar. Wir werden mit unseren Konzepten diese Schwachstellen auffüllen“, so Gerstorfer abschließend.